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Häufig gestellte Fragen zu sexualisierter Gewalt und den Betreuungszentren

Hier finden Sie Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Thema sexualisierte Gewalt und das Angebot der Betreuungszentren. Außerdem führen wir einige weitere sinnvolle und unsinnige Informationen über sexualisierte Gewalt auf.

Sexualisierte Gewalt

  • Es gibt unterschiedliche Definitionen von sexualisierter Gewalt. Die Betreuungszentren folgen der Definition der Weltgesundheitsorganisation, die besagt, dass sexualisierte Gewalt jede sexuelle Handlung umfasst, die gegen den Willen einer Person vorgenommen wird. Diese Tat kann von jeder Person, unabhängig von ihrer Beziehung zum Opfer und in jedem Kontext begangen werden.

    Der Begriff „sexualisierte Gewalt“ kann verschiedene Formen sexuell übergriffigen Verhaltens umfassen, die von sexueller Belästigung bis hin zu Vergewaltigung und sexueller Ausbeutung reichen. Die Arbeit der Betreuungszentren konzentriert sich auf Hands-on-Formen sexualisierter Gewalt. Der Unterschied zwischen erwünschten sexuellen Kontakten und sexualisierter Gewalt liegt in der Zustimmung bzw. der fehlenden Zustimmung. 

  • Hands-on-Formen sexualisierter Gewalt umfassen jede Form von sexualisierter Gewalt, die einen körperlichen Kontakt zwischen Täter:in und Opfer beinhaltet. Die Straftatbestände „Vergewaltigung“ und „sexuelle Nötigung“ sind Hands-on-Formen von sexualisierter Gewalt. 

    Wenn es keinen körperlichen Kontakt zwischen dem Opfer und dem/der Täter:in gibt, spricht man Hands-off-Formen sexualisierter Gewalt. Ein Beispiel ist die sexuelle Belästigung. 

  • Der Straftatbestand der „sexuelle Nötigung“ umfasst alle Situationen, in denen jemand ohne Zustimmung berührt wird, ohne dass es zu einer sexuellen Penetration kommt, oder in denen jemand sexuellen Handlungen unterworfen wird, ohne selbst daran teilnehmen zu müssen (z. B. wenn man gezwungen wird, jemandem beim Ausziehen zuzusehen). 

    In den Betreuungszentren liegt der Schwerpunkt auf Situationen, in denen es zu körperlichem Kontakt zwischen dem Opfer und dem/der Täter:in gekommen ist, da die Wahrscheinlichkeit, Spuren des/der Täter:in zu finden, höher ist. 

  • Sobald eine ungewünschte Penetration sexueller Natur (mit einem Körperteil oder einem Gegenstand) in eine Körperöffnung (wie Mund, Anus oder Vagina) erfolgt, spricht man von Vergewaltigung. 

    Das offensichtlichste Beispiel für eine Vergewaltigung ist, wenn eine Person gegen ihren Willen oder ohne ihre Zustimmung penetriert wird. Seit der Änderung des Sexualstrafrechts im Jahr 2021 gilt auch das ungewollte Penetrieren einer Person als Vergewaltigung.

  • Der Unterschied zwischen erwünschten und unerwünschten sexuellen Kontakten liegt darin, ob die sexuellen Handlungen einvernehmlich sind oder nicht. Wenn die Grenzen einer Person überschritten werden oder die Zustimmung fehlt, liegt sexualisierte Gewalt vor. 

    Im Jahr 2021 wurde die Einwilligung gesetzlich definiert und als zentraler Begriff in das Sexualstrafrecht aufgenommen. Das Strafgesetzbuch sieht vor, dass:

    • die Zustimmung aus freiem Willen erteilt wird;
    • es nicht automatisch einer Zustimmung gleichkommt, wenn das Opfer keinen (körperlichen) Widerstand leistet;
    • die Zustimmung jederzeit vor oder während der sexuellen Handlung widerrufen werden kann;
    • keine Zustimmung vorliegt, wenn die sexuellen Handlungen unter Ausnutzung eines verletzlichen Zustands des Opfers vorgenommen wurden, der den freien Willen beeinträchtigt (z. B. Angstzustände, Alkohol, Betäubungsmittel, psychotrope Substanzen oder andere Substanzen mit ähnlicher Wirkung, eine Krankheit oder eine Behinderung);
    • auch keine Zustimmung erteilt werden kann, wenn die sexuelle Handlung durch Drohung, physische oder psychische Gewalt, Zwang, Überrumpelung, List oder eine andere kriminelle Handlung herbeigeführt wurde;
    • ein bewusstloses oder schlafendes Opfer niemals seine Zustimmung erteilen kann.

    Sie sind noch immer unsicher darüber, was eine Zustimmung ist und was nicht? Dann sehen Sie sich dieses Video an. 

  • Wenn eine Person sexualisierte Gewalt erlebt, schaltet der Körper auf Autopilot und sie reagiert instinktiv. Das FFFF-Modell sieht vier mögliche Reaktionen vor: 
    •    Fight oder zurückschlagen;
    •    Flight oder entfliehen;
    •    Freeze oder erstarren;
    •    Fawn oder gefügig werden.
    All diese Reaktionen sind normal. Unabhängig von der Reaktion trägt das Opfer nie die Schuld.

    Manche Opfer bekommen während der sexualisierten Gewalt eine Erektion oder einen Orgasmus. Das kann verwirrend sein, denn dann scheint es, als würden sie es genießen. Es ist wichtig zu wissen, dass Sie auch unter extremem Stress einen Orgasmus bekommen oder ejakulieren können. Dafür muss also keine sexuelle Erregung vorliegen.

    Sie möchten mehr über die möglichen Folgen von sexualisierter Gewalt und praktische Tipps für den Umgang damit erfahren? Dann lesen Sie die Broschüre für Opfer
     

  • Sexualisierte Gewalt kann das Opfer und sein Umfeld in mehreren Bereichen beeinträchtigen: 

    • Psychologische Symptome: Angstzustände, depressive Symptome, Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung ...
    • Körperliche Beschwerden: Verletzungen infolge der Gewalt, unerwünschte körperliche Reaktionen ... 
    • Sexuelle und reproduktive Folgen: Schwangerschaft, Hypersexualität ...
    • Sozioökonomische Folgen: Schwierigkeiten, jemandem zu vertrauen, Einkommensverluste ... 

    Jedes Opfer erlebt die Folgen sexualisierter Gewalt anders, und die Symptome können von Person zu Person variieren. Um eine angemessene Betreuung zu gewährleisten, müssen diese Folgen einzeln untersucht werden.

    Sie möchten mehr über die möglichen Folgen von sexualisierter Gewalt und praktische Tipps für den Umgang damit erfahren? Dann lesen Sie die Broschüre für Opfer

  • Als Victim Blaming werden Reaktionen bezeichnet, die dem Opfer den Eindruck vermitteln, dass es selbst schuld ist. Die folgenden Fragen oder Kommentare könnten möglicherweise als Victim Blaming verstanden werden:

    • Warum haben Sie sich nicht gewehrt? 
    • Was haben Sie zu dieser Zeit dort gemacht? 
    • Zum Glück ist es nicht schlimmer. 
    • Und warum hatten Sie so viel getrunken? 

    Victim Blaming kann dazu führen, dass sich das Opfer erneut als Opfer fühlt. In diesem Fall spricht man von sekundärer Viktimisierung oder Reviktimisierung. Darüber hinaus kann auch das Gefühl, nicht richtig behandelt oder nicht gehört zu werden, zu einer sekundären Viktimisierung führen.

Betreuungszentren nach Sexueller Gewalt

  • In einem Betreuungszentrum kann ein Opfer rund um die Uhr und kostenlos eine ganzheitliche Betreuung erhalten. Ausgebildete Fachkräfte, wie Krankenpflegefachkräfte, Psycholog:innen und Polizeibeamt:innen, arbeiten unter einem Dach zusammen, um Opfern von sexualisierter Gewalt die folgenden Dienstleistungen anzubieten:

    • Medizinische Versorgung: Versorgung von Verletzungen und Wunden und Durchführung einer medizinischen Untersuchung, die sich mit den körperlichen, sexuellen und/oder reproduktiven Folgen der sexualisierten Gewalt befasst (einschließlich STD-Screening, Notfallverhütung, Behandlung bei Gefahr einer HIV-Übertragung und vorbeugende oder indizierte Behandlung von Hepatitis A oder B und Tetanus).
    • Forensische Untersuchung: Aufnahme von Verletzungen und Sammlung von Beweisen der sexualisierten Gewalt an Körper oder Kleidung des Opfers.
    • Anzeigenerstattung: Die Erstattung einer Anzeige bei der Polizei. Dies ist allerdings nicht vorgeschrieben. Zögert das Opfer noch, dies zu tun? Dann wird das gesammelte Beweismaterial für einen vorher vereinbarten Zeitraum aufbewahrt. So kann sich das Opfer auch noch später dazu entscheiden, Anzeige zu erstatten.
    • Psychologische Betreuung: Offenes Ohr, Informationen und Beratung zu den normalen Reaktionen nach sexualisierter Gewalt und Tipps zum Umgang damit In einem Betreuungszentrum arbeiten auch klinische Psycholog:innen, mit denen ein Beratungstermin vereinbart werden kann. 
    • Nachsorge: Medizinische und psychologische Nachbetreuung und/oder Überweisung an geeignete psychosoziale und juristische Dienste.

    Das Opfer kann während des Besuchs im Betreuungszentrum von einer Unterstützungsperson begleitet werden. Auch diese Unterstützungsperson erhält die notwendige psychologische Unterstützung und kann bei Bedarf einen Termin bei einem/einer Psycholog:in im Betreuungszentrum vereinbaren. 

    Was ein Betreuungszentrum für ein Opfer tun kann, hängt davon ab, wie lange die sexualisierte Gewalt zurückliegt. Weitere Informationen zu der konkreten Situation des Opfers finden Sie in der Hilfesuchmaschine

  • Jedes Opfer sexueller Gewalt ist im Betreuungszentrum willkommen, unabhängig von Alter, Herkunft, Religion, Geschlechtsidentität, Aufenthaltsstatus ... Ein Opfer kann von einer Unterstützungsperson begleitet werden, z. B. von einem/einer Freund:in, Partner:in oder Familienmitglied. 

    Ein Betreuungszentrum ist rund um die Uhr erreichbar. Je nachdem, wie viel Zeit nach der sexualisierten Gewalt verstrichen ist, kann man sich direkt anmelden oder einen Termin vereinbaren: 

    • Wenn die sexualisierte Gewalt weniger als eine Woche zurückliegen, kann das Opfer ins Betreuungszentrum kommen, anrufen oder eine E-Mail schicken.
    • Wenn die sexualisierte Gewalt länger als eine Woche zurückliegt, kann das Opfer telefonisch oder per E-Mail einen Termin vereinbaren. 

    Was ein Betreuungszentrum für ein Opfer tun kann, hängt auch davon ab, wie lange die sexualisierte Gewalt zurückliegt. Weitere Informationen zu der konkreten Situation des Opfers finden Sie in der Hilfesuchmaschine

  • In Belgien gibt es derzeit zehn Betreuungszentren. Einzelheiten zu allen Betreuungszentren finden Sie auf der Kontaktseite

(Un-)Sinn über sexualisierte Gewalt

  • Die meisten Opfer, die sich in einem Betreuungszentrum melden, haben sexualisierte Gewalt durch eine:n (ehemalige:n) Partner:in, ein Familienmitglied, eine:n Mitbewohner:in oder eine:n Bekannte:n erlebt.

  • Die Ursache für sexualisierte Gewalt liegt nicht im mangelnden „gesunden Menschenverstand“ des Opfers. Das wird zwar gerne behauptet, ist aber absoluter Unsinn. Die Opfer erleben sexualisierte Gewalt, weil sie das große Pech haben, mit einem/einer Täter:in in Kontakt zu kommen. Es ist sehr wichtig, mit diesem Mythos aufzuräumen. Dies kann sogar zu einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit führen: Sexualisierte Gewalt wird nicht dadurch provoziert, dass man zu später Stunde auf die Straße geht oder bestimmte Kleidung trägt. Die volle Verantwortung liegt immer bei dem/der Täter:in, nie beim Opfer.

  • Es gibt nicht das eine Opfer sexualisierter Gewalt: Jede:r kann Opfer werden, unabhängig von Geschlechtsidentität, Geschlecht und Alter. Also auch Männer, nicht-binäre Personen ...

  • Ein Opfer kann unmittelbar nach dem Erleben sexualisierter Gewalt negative Folgen erfahren, die sich aber auch erst Jahre später zeigen können. Dies ist häufig bei Personen der Fall, die als Minderjährige Opfer sexualisierter Gewalt wurden.

    Die Symptome sind oft sehr vielfältig: Reizbarkeit, Wutausbrüche, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, übermäßige Wachsamkeit, starke Schreckreaktionen, psychische und körperliche Reaktionen auf ähnliche Ereignisse, Wiedererleben der Ereignisse, Dissoziation, Alpträume, Vermeidung bestimmter Situationen oder Aktivitäten, Amnesie, Probleme, Gefühle auszudrücken, Entfremdung, Alkohol- und Drogenabhängigkeit ...

    Um diese Symptome einzudämmen, ist es wichtig, dass dem Opfer eine angemessene Betreuung angeboten wird und/oder es sich um angemessene Hilfe bemüht. 

  • Die Erfahrung sexualisierter Gewalt hat enorme Auswirkungen auf ein Opfer. Die Reaktion des Opfers auf sexualisierte Gewalt lässt sich nicht im Voraus abschätzen. Es gibt also auch keine „richtige“ oder „falsche“ Antwort.

    Nach dem FFFF-Modell gibt es vier verschiedene körperliche Reaktionen auf Gewalt: Fight, Flight, Freeze oder Fawn. Bei Freeze (erstarren) oder Fawn (gefügig werden) wird oft keine körperliche Gewalt angewandt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Opfer zugestimmt hat. Auch in diesen Fällen liegt also sexualisierte Gewalt vor. 
     

  • Manche Opfer bekommen während der sexualisierten Gewalt eine Erektion oder einen Orgasmus. Das kann verwirrend sein, denn dann scheint es, als hätten sie es genossen. Es ist wichtig zu wissen, dass Sie auch unter extremem Stress einen Orgasmus bekommen oder ejakulieren können. Dafür muss also keine sexuelle Erregung vorliegen.

    Frauen werden bei sexuellen Handlungen feucht und können auch feucht werden, wenn sie sexualisierte Gewalt erfahren. Dies ist eine natürliche Reaktion, um die Vagina vor Verletzungen zu schützen, und kann daher auch dann auftreten, wenn die sexuelle Aktivität unfreiwillig ist. Die Tatsache, dass ein weibliches Opfer feucht wurde, bedeutet also nicht, dass sie dem zugestimmt hat oder es genossen hat.

  • Es gibt den Mythos, dass ein:e Täter:in sexualisierte Gewalt begeht, wenn er oder sie sich nicht mehr beherrschen kann oder ein unwiderstehliches Bedürfnis nach Sex hat, aber das ist selten oder nie der Fall. Sex kann eines der Motive für eine:n Täter:in sein, aber sexuelle Frustration ist in der Regel bei weitem nicht der einzige oder wichtigste Grund.

    Sexualisierte Gewalt kann ein Ausdruck oder ein Instrument der Wut sein. Es kann auch eine „impulsive“ Vergewaltigung vorliegen, bei der der/die Täter:in die Grenzen des Opfers erheblich überschreitet, ohne aus Frustration oder Wut zu handeln.

  • Vergewaltigung ist ein Akt der Gewalt und hat daher nichts mit Leidenschaft oder Liebe zu tun. Die meisten Vergewaltigungen geschehen nicht spontan: Der Nährboden für die Vergewaltigung ist schon seit einiger Zeit im Kopf des/der Täter:in vorhanden. Von unkontrollierbarer Leidenschaft kann also keine Rede sein. Die Täter:innen können ihren Sexualtrieb leicht kontrollieren.

  • Sexarbeiter:innen können sehr wohl vergewaltigt werden. Nur weil Sex bezahlt wird, heißt das nicht, dass der/die Kund:in alles tun kann und darf. Wenn ein:e Sexarbeiter:in gezwungen wird, unerwünschte sexuelle Handlungen vorzunehmen, liegt sexualisierte Gewalt vor.